Das legendäre Weinhaus Strobl
Vom großen Braten zum Holstein-Schnitzel, von den Butterkartoffeln zu den Pommes frites, vom heimischen Kompott zur gefüllten Banane. Über Jahrzehnte gesammelte Speisekarten des Wiener Wirtshauses „Zur Schwarzen Katze“ zeigen den kulinarischen Wandel der Zeit.
Kalbsvögerl, Rahmzüngerl, Szegedinergulasch – die Speisekarte aus dem Jahr 1959 liest sich auch heute wie zeitgemäße Wirtshausküche und macht – zumindest Fleischessern – den Mund wässrig. Die kulinarischen Irrungen der 1970er-Jahre à la Holsteinschnitzel, Mixed Grill und Zigeuner-Kotelett sind überwunden. Aber der Weg zurück zum „echten Kochen“ war ein langer und kurviger.
Zurück ins Wien der 1930er-Jahre. An jedem Eck ein Wirtshaus. Viele der Gaststätten gehörten Weinviertler Bauernsprösslingen, die mit den eigenen Schweinen und Weinen in der Stadt äußerst willkommen waren. So auch Georg und Theresia Strobl, die 1931 ihr Gasthaus in Hernals eröffneten: meine Großeltern. Die angehende Wirtin lernte ihr Handwerk davor im legendären Stephanskeller am Stephansplatz, wo, wie sie später immer wieder erzählte, Tag für Tag riesige Teile von Kalb, Schwein, Rind in die Öfen geschoben wurden. Wirtshausküche bedeutete damals vor allem eines: Fleisch! Braten, Würste, Gulasch. Schweinefleisch kam bei den Strobls aus der eigenen Landwirtschaft. Am „Ruhetag“ wurde geschlachtet und gewurstet, am Tag darauf freuten sich die Stammgäste der „Schwarzen Katze“ über Leber, Nierndln, Hirn und Blunznsuppe. „Nose to tail“ als gelebte Notwendigkeit.
Das Huhn als Luxus. Der echte Luxus war 1959 das halbe Backhuhn um 20 Schilling. Im Vergleich dazu fiel das garnierte Rindfleisch um 11 und das Beefsteak um 14 Schilling richtig billig aus. Mit den Änderungen in der landwirtschaftlichen Tierhaltung begann sich das aber bald umzukehren.
1960 übernahmen meine Eltern die „Schwarze Katze“. Die ehrgeizige Jungwirtin durfte davor beim „Eckel“ in Sievering reinschnuppern, was ihren Küchenstil nachhaltig prägte. Dem allgemeinen Trend folgend, wichen allerdings auch unter ihrer Obhut in den 1970ern die „fertigen Speisen“, für die profundes Wissen und Handwerkskenntnisse nötig sind, vorübergehend den „frisch gemachten“. Das „echte Kochen“ wich dem „schnellen Abbraten“, was den Beruf des Kochs zunehmend uninteressant machte. Beilagen beschränkten sich auf Kartoffeln (ja, so sagte man schon damals in Hernals zu den Erdäpfeln), Knödeln, Reis und die paar bewährten Salate.
1963 standen erstmals Pommes frites auf der Karte. Bei aller Verlockung, es sich einfach zu machen, schafften es die tiefgekühlten Pommes glücklicherweise aber nicht, den großen Weidling mit dem lauwarmen Erdäpfelsalat aus unserer Küche zu verdrängen. Neben dem gebackenen Schnitzel überdauerten zumindest das Haussulz (1963 um 3 Schilling, 1993 um 45 Schilling) und das gekochte Rindfleisch all die Jahrzehnte in der „Schwarzen Katze“. Der große Topf mit abwechselnd Beinfleisch, Tafelspitz oder Hüferschwanzl stand schon allein der klaren Suppe wegen täglich am Herd. Samt Einlage gab’s die Suppe 1959 um 1,50, 1993 um 28 Schilling.
Gemüse in den Achtzigern. Gemüse gewann erst in den 1980er-Jahren an Bedeutung. Karfiol mit Butterbröseln und Spargel mit Sauce Hollandaise waren die ersten ernst zu nehmenden fleischlosen Speisen abgesehen von den gebackenen Champignons. Fisch spielte seine Rolle hauptsächlich als Sardellenringel, Gabelroller oder Matjestatar. Bei den Nachspeisen wichen mit der Zeit die selbst gemachten Kompotte den Dosenpfirsichen und Ananasscheiben, einzig die Malakoff-Torte hielt sich als Konstante über die Jahrzehnte – von 5 Schilling 1959 bis 35 Schilling 1993.
Der Wein kam in den 30er-Jahren in Fässern nach Wien, mit Pferdefuhrwerken. Die brauchten damals zwei Tage für die 50 Kilometer Brünnerstraße von Poysdorf. Einen großen Teil der Lieferung holten sich die Stammgäste mit Krügen direkt am Fuhrwerk ab, der Rest wurde in die Fässer im Keller gepumpt und nach und nach – wohl mit zunehmendem Essigstich – aufgebraucht.
Veltliner um 4,50 Schilling. Anfang der 1960er-Jahre zahlte man für das Vierterl Schankwein – etwa Neuburger, Grüner Veltliner oder Traminer zwischen 4,50 und 6 Schilling. Auch ein Klassiker auf der schwarzen Tafel hinter der Schank: Burschik-Wermut, als Vierterl ausgeschenkt.
Nach 60 Jahren und zwei Generationen verkaufte Herbert Strobl 1994 das Wirtshaus mit Haut und Haar. Für die Gäste sollte mit dem neuen Besitzer alles beim Alten bleiben. Leider war dem nicht so. Heute steht an der Stelle des jahrhundertealten Wirtshauses Ecke Hernalser Hauptstraße / Weißgasse ein fünfstöckiges Röntgeninstitut. Aber die Gansln meiner Mutter und meines Vaters im weißen Arbeitsmantel bleiben vielen Gästen unvergesslich. Und die Geschichten würden wohl ein ganzes Buch füllen.
Kurier freizeit, 21. März 2020