Schaf ist nicht gleich Schaf
Wann ist ein Lamm ein Lamm und noch kein Schaf? Und was hat ein Mutterschaf mit einer Mechanikerstunde gemeinsam? Spitzenköche und Schafbauern trafen einander zum Abschluss eines Experiments, das so existenziell wie philosophisch ausartete.
Die Küche des legendären Gasthof Döllerer in Golling gleicht einer Metzgerei: drei Köche sind dabei, zehn Jungschafe sorgfältig in appetitliche Teile zu zerlegen. Rücken, Schlögel, Haxl, Bauch. Mit dabei bei der heiklen Feinarbeit ist auch der Mann, der die Tiere während der vergangenen Monate liebevoll und mit großem Aufwand betreut hat: Michael Wilhelm. Seine Landwirtschaft liegt in Sölden, im hinteren Ötztal in Tirol. Rinder, Yaks und Schafe gehören zu seiner Herde, im Sommer leben die Tiere im Hochgebirge. Der 42-Jährige hat ursprünglich Holz- und Steinbildhauerei gelernt, dann aber doch aus Überzeugung die Landwirtschaft der Eltern übernommen.
Das brachte ihn mit Andreas Döllerer zusammen, jenem Spitzenkoch aus Golling, der stets auf der Suche nach dem authentischen Geschmack seiner Heimat ist und den Begriff „Alpine Cuisine“ geprägt hat. Vor knapp zwei Jahren stellten sich die beiden die Frage „Welche Schafrasse liefert das beste Fleisch?“ Philosophiert wird viel, diesem Gedanken folgten auch wirklich Taten: Wilhelm holte Jungtiere von elf Rassen zusammen, alle in etwa zur gleichen Zeit geboren, männlich, kastriert. Darunter klassische Fleischrassen wie Merino und Texel, aber vor allem auch alte Landrassen wie das Kärntner Brillenschaf, das Tiroler Bergschaf und Wilhelms Lieblingsrasse: das Zackelschaf. Letzteres ist heute kaum noch anzutreffen, war einst aber weit verbreitet. Wilhelm: „Das waren die Lieblingsschafe von Kaiser Franz Josef mit einer Gesamtpopulation von zwei Millionen Tieren.“
Aufgewachsen auf der Alm
Die Jungtiere lebten den Sommer über im hochalpinen Gelände und wanderten je nach Lust und Laune hinauf bis 3.000 Meter Seehöhe. Klassisches Weidegebiet, laut Wilhelm seit 8.000 Jahren bewirtschaftet. Eines der elf Tiere, das Schwedische Gotlandschaf, ging im steilen Gelände verloren. „Adler, Krähen, Füchse. Der Berg nimmt sich, was er braucht“, sieht Wilhelm die Tatsache mit der gebotenen Gelassenheit. Ende Oktober führte er die Experiment-Herde wieder zusammen, ab da stand sie gemeinsam im Stall und wurde mit Heu gefüttert. Anfang Februar wurden die Tiere mit knapp über einem Jahr geschlachtet. Abliegen sollte Lammfleisch ungefähr eine Woche, je höher die Temperatur, desto schneller die Reifung.
Zur Verkostung trafen rund 40 Kulinarikexperten aus ganz Österreich ein, organisiert von der Interessensgemeinschaft „Koch.Campus“ (siehe rechte Seite). Zuerst taucht eine grundsätzliche Frage auf: Ist das jetzt noch Lamm oder schon Schaf, was wir da vor uns haben? Und das, so stellt sich heraus, ist ein strittiges Thema.
In Österreich gilt ein Alterslimit von sechs Monaten, um ein Tier als Lamm verkaufen zu dürfen, und damit einen halbwegs guten Preis zu erzielen. Was eine natürliche Weidehaltung auf Almen insofern schwierig macht, als Lämmer im Dezember/Jänner geboren werden und damit spätestens im Juni geschlachtet werden müssen. Michael Wilhelm: „Heute bekommst für ein Mutterschaf nicht mehr, als eine Mechanikerstund’ kostet.“ Er spricht von 80 Euro. Diskussionsstoff für die Runde. Wie wertvoll sind uns unsere Lebensmittel?
Ans Verkosten. Obwohl die zehn Tiere unter gleichen Bedingungen aufgewachsen sind, unterscheiden sich die Fleischteile in Größe, Farbe und Marmorierung enorm.
Blindverkostung
Eines sticht komplett heraus. Noch wissen wir nicht, welches Tier welches ist. Nach der optischen Bewertung werden nacheinander vier Teller mit Kostproben serviert – jeweils drei Rassen, einmal roh als Tatar, einmal kurz gebraten, immer ungewürzt. Das Ergebnis: Auch in Konsistenz und Aromatik sind die Rassen sehr verschieden – von würzig, nussig, zart, bis fad, wässrig und grob.
Die alten Gebirgsrassen schneiden insgesamt wesentlich besser ab als die auf üppiges Fleischwachstum gezüchteten Rassen wie Texel oder Merino. Höchstnoten erhält das Tiroler Bergschaf mit seinem schön marmorierten, aromatischen Fleisch, gutem Biss und üppigem Fettrand, gefolgt vom zartfasrigen, würzigen Juraschaf und dem nussig feinen Zackelschaf. Die Überraschung: die als „Pirat“ dazu geschmuggelte Ziege findet mehr Gefallen als so manches Schaf.
Was rät Schafbauer Michael Wilhelm, der neben Frischfleisch auch selbst verarbeitete Produkte wie Würste und Rillettes in seiner Alpinmanufaktur in Sölden herstellt? „Einkaufen bei Bauern in der Region, und am besten ein ganzes Tier.“ Verwerten lässt sich nämlich alles: Rücken zum Kurzbraten, Schlögel und Schulter am besten am Knochen als Ganzes braten, Haxln sanft schmoren, aus Knochen und Abschnitten Lammfond oder Suppe kochen. Den ausgelösten Bauch serviert Patron Andreas Döllerer an diesem Abend gerollt, zwölf Stunden sous-vide gegart und anschließend rundherum kurz gebraten.
Michael Wilhelm: „Ich würde mir wünschen, dass unsere Gastronomie stärker die regionalen Produkte nachfragt. Die gehören doch zu unserer Identität. Dass sie allerdings mehr kosten als Importfleisch aus Massentierhaltung, das muss es dem Konsumenten wert sein.“